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Expeditions-Logbuch

10. März 2022

29.08.2021: Prins Christian Sund

Brigitte bringt es wie immer pragmatisch auf den Punkt. Schön, erklärt sie, sei es, dass es diesen Sund gibt, so dass man nicht jedes Mal um das Kap Farvel rum muss. Natürlich hat sie Recht damit, dass es angenehm ist, nicht den stürmischsten Ort dieses Planeten befahren zu müssen, um von der Ost- zur Westküste Grönlands zu gelangen oder umgekehrt. Im Allgemeinen wird Schiffen geraten, einen Abstand von 100 Seemeilen zum Kap einzuhalten, was einen erheblichen Umweg bedeuten würde. Doch mit ihrem feinen Humor untertreibt Brigitte auch mal wieder maßlos, denn der praktische Nutzen ist bei weitem nicht der einzige Grund, warum die Existenz des Sundes uns erfreut.

Der Prins Christian Sund gehört landschaftlich zum Spektakulärsten, was wir auf dieser Reise erleben. Selten breiter als eine Seemeile, stellenweise sogar nur einer Viertelmeile schmal, schlängelt er sich im Zickzack durch Ehrfurcht erregende felsige Kolosse, die sich zu beiden Seiten bis zu 1.800 Meter auftürmen. Teilweise ragen Felswände hunderte von Metern senkrecht aus dem Wasser. Immer wieder drängen Gletscher zwischen den Bergen bis zum Wasser und versorgen dieses mit Eisbergen und Growlern. Kleine Fjorde gehen allenthalben nach links und rechts ab und eröffnen uns neue spannende Perspektiven.


Auch die Fauna möchte da nicht hintanstehen. Als wir vor exakt einem Monat am 29.7. den Sund durchfuhren, ankerten wir in der Nacht zuvor in einer kleinen Bucht schon kurz hinter der Einfahrt. Gleich nach unserem und möglicherweise auch seinem Abendessen beschloss ein ausgewachsener Buckelwal, uns eine Show zu bieten, im Zuge derer er ohne Eile an den felsigen Wänden vor und neben uns entlang schwamm und sich an denselben mit großer Sorgfalt marine Parasiten von der Haut kratzte. Eine ganze Weile blieb er bei uns, bevor er die Körperpflege als zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen betrachtete und gemächlich seiner Wege zog. Heute, auf unserem Rückweg an die Ostküste, dürfen wir einem Seeadler bei der Jagd auf Fische zusehen, der sich dabei sogar Mühe gibt, seine Aufführung so pittoresk wie möglich zu inszenieren, indem er stilsicher einen Eisberg vor einer besonders beeindruckenden Felswand als Hintergrund wählt.


Etwa auf halber Strecke machen wir Halt an einer der wenigen Siedlungen am Sund. Aappilattoq ist die südlichste Ortschaft Grönlands und verfügt über einen spektakulären natürlichen Hafen, dessen Einfahrt so eng ist, dass wir uns mit großer Vorsicht hineinschieben müssen. Auf engstem Raum dreht Arved die Dagmar Aaen und legt an einer Pier an, die nicht halb so lang ist wie das Schiff. Mit dem Bootshaken lotet Bernhard die Wassertiefe am Heck. Viel mehr als die bekannte Handbreit haben wir nicht an Wasser unter dem Kiel, und wir hoffen, dass es zeitnah aufzulaufen beginnen wird.


Etwa achtzig Menschen leben in Aappilattoq. Noch vor zehn Jahren waren es hundert. Die Gebäude sind aus Holz, klein und in leuchtendem Rot, Blau, Gelb oder Grün gestrichen. Die nicht mehr bewohnten Häuser werden dem Verfall überlassen, aber es gibt eine kleine Kirche und eine Schule, die beide einen gut gepflegten Eindruck hinterlassen, und sogar einen steinigen Fußballplatz, der uns kurze, dafür aber große Freude bereitet. Man lebt hier vom Fischfang und begrüßt uns herzlich, hilft uns mit den Festmachern und bietet uns einen Schlauch an, um unsere Wassertanks zu füllen.


Wir bleiben über Nacht und fahren am nächsten Tag weiter. Für Bernhard ist die Durchfahrt des Sunds etwas ganz Besonderes. Obwohl er schon zahlreiche Male mit der Dagmar Aaen in Grönland war, hat er diese natürliche Wasserstraße bislang noch nicht erlebt. Vor zwei Jahren sollte es bereits so weit sein, doch damals zwang ein technisches Problem die Mannschaft zur Umkehr. Ich frage ihn, ob der Sund seine Erwartungen erfüllt habe, und bekomme als Antwort ein breites, durch und durch glückliches Lächeln.


Kris

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