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Expeditions-Logbuch

10. März 2022

06.09.2021: Natur pur

Nachdem wir eine windige Nacht am Anker verbracht haben, wollten wir sobald es ruhiger wird losfahren. Wir warteten also bis etwa 11 Uhr bevor wir aus dem, wie wir dachten, noch geschützten Sund ausliefen. Wie sich herausstellte, war unsere Ankerstelle viel windiger als das offene Wasser an der Ostküste. Also machten wir uns ohne jeglichen Wind auf den Weg, Richtung Norden. Wir hatten ca.400 Meilen vor uns, die wir ohne Zwischenstopp, also in vier Tagen hinter uns legen wollten. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht was für Naturschauspiele uns erwarten würden.


Der Ostgrönlandstrom bremste uns mit bis zu 2 Knoten ordentlich aus, so dass wir teilweise auch tagsüber nur mit knapp 4 Knoten voran kamen. Nachts wurde unsere Geschwindigkeit von Seenebel und Eis weiter gedrosselt. Bei vollkommener Dunkelheit und Nebel das Schiff durch das Eis zu manövrieren ist garnicht so einfach. Eine/r steht dann unten am Radar, welches wegen des glatten Wassers zum Glück fast jedes Stück Eis zeigte, und gibt über Funk die umliegende Eissituation an die Person vorne im Ausguck durch. Diese sucht dann mit einem Scheinwerfer nach den angekündigten Eisschollen. Wenn diese dann wieder zurückgemeldet werden, kann von hinten gesteuert werden. Da wird einem selbst bei einer 4 Stunden Wache in der Dunkelheit nicht langweilig. Kalt wars aber trotzdem.


Dann, in der Nacht auf den 30. August, wurde ich um 00:19 Uhr geweckt, da über uns große grüne Lichter am Himmel tanzten. Das Problem ist, dass "nur mal kurz gucken" nicht geht. Also muss man sich quasi wie für die Wache komplett anziehen, am wichtigsten ist dabei die Schwimmweste. Dann kommt man schlaftrunken an Deck und will eigentlich am liebsten direkt wieder zurück in die Koje, weil es kalt, nass und schaukelig ist. Ich musste mich erstmal orientieren und festhalten, bevor ich meinen Blick heben konnte. Doch dann sah ich zuerst ganz viele Sterne und dann an Backbord über der Küste den grünen Schein. Die Polarlichter schlängelten sich den Nachthimmel entlang. Sowas magisches hatte ich noch nie gesehen. Es waren, bis auf einige schwächere in den Nächten davor, meine ersten Polarlichter und diesen Moment werde ich so schnell nicht vergessen.


Als ich dann nach drei Stunden, bevor um 4 Uhr meine Wache starten würde, wieder geweckt wurde stieg ich in meine drei Hosenschichten, fünf Oberteile, drei Paar Socken und meine Seestiefel. Mütze, Handschuhe, Schwimmweste.
Das schöne an der 4-8 Wache ist, dass man sowohl den Sonnenuntergang um kurz vor 20 Uhr und den Sonnenaufgang rund um 6 Uhr hat. Es wurde also schon langsam hell und wir konnten mit Ausguck und Rudergänger/in auf Sicht durch das Eis fahren. Riesige Eisberge und dazwischen die kleinen Schollen, in allen möglichen Formen, die sich lesen und deuten lassen wie Wolken und aus jeder Perspektive wieder anders aussehen. Es gab Autos, Enten, Wildschweine, Wohnmobile und alles andere was die Fantasie so hergab. Das zweite Mal an diesem Tag, dass ich von der Schönheit der Natur überwältigt war.


Nach dem Frühstück, gerade wieder in meinem Schlafsack, wurde wild an meine Koje gehämmert. "Orcas!", reif Franzi durch die Messe. Also sprang ich wieder auf, zog mich an, schnappte mir mein Handy und stürmte an Deck. Direkt neben uns, etwa fünf Meter neben dem Schiff sprangen drei Orcas durchs Wasser. Ein Jungtier war dabei. Weiter hinten kamen noch etwa vier Weitere. Sie begeleiteten uns einige Minuten, bevor sie sich verabschiedeten und in die andere Richtung davonschwammen. Oh man, Orcas. Neben Polarlichter war es schon, ungelogen, seit langer Zeit mein Traum Orcas zu sehen. Ich war so aufgeregt. Ich konnte nicht mal ein Foto oder Video machen, so doll schlug mein Herz. Das war krass. Zum Glück hat das mit den Fotos Brigitte erledigt, also könnt ihr unsere Killerwalfreunde auch nochmal betrachten. Sind sie nicht schön?


Das war nun schon das dritte Mal, dass ich erstmal wieder zur Ruhe kommen musste an diesem Tag. Wieder ins Bett ging ich nicht, wer weiß was noch alles passieren sollte.


Nachmittags, als ich wieder Wache hatte und mit Bernhard und Fredo auf dem Vorschiff stand und das spiegelglatte Wasser betrachtete sah ich am Horizont einen Walblas. Als ich genauer hinsah, sah ich immer mehr. Die anderen guckten auch und wir zählten über 10 Wale, die da am Horizont auf uns zukamen. Das war ein unglaubliches Bild. Dieses friedliche Wasser, die wunderschöne Ostküste mit Gletschern, die bis ans Wasser reichen, blauer Himmel und Sonne und dann auch noch diese riesen Schule von Walen am Horizont. Ich konnte das Fernglas garnicht absetzen. Etwa eine halbe Stunde später dann, sahen wir die ersten großen grauen Rücken aus dem Wasser gleiten während sie eine Fontäne ausstießen. Man hörte das Schnaufen überall um uns herum und vorne, hinten, rechts und links waren nun Finwale um uns herum. Sie hielten einen Respektabstand aber waren trotzdem deutlich zu erkennen. Egal wo man hinsah, schnitt ein Walrücken durch die Wasseroberfläche und tauchte wenig später wieder ab. Auch an dieser Schönheit könnt ihr dank Brigitte unten in der Fotogallerie teilhaben. Der Tag endete mit einem atemberaubendem Sonnenuntergang, der den ganzen Himmel und das Wasser orange, rot, lila, blau und gelb färbte. Einfach nur schön.


Also diesen 30. August werde ich auf jeden Fall nie vergessen. Es ist so viel passiert, wo allein die Natur ihre Finger im Spiel hatte. Dass wir Zeugen dieser ganzen Naturschauspiele sein durften ist ein großes Glück und ich bin unglaublich dankbar dafür. Wie Fredo und ich diesen Tag später in unserem Gedichtstagebuch beschrieben:


Diese Gefühle, man kann sie nicht beschreiben.
Die Euphorie wird noch sehr lange bleiben.


weiter:
Morgen sollen wir schon in Tasiilaq sein,
doch jetzt fahren wir erstmal in die Nacht hinein.


Und so war es auch. Am 31. August erreichten wir am frühen Nachmittag bei Regen Tasiilaq, wo wir zunächst vor Anker gingen.


Chiara

Expeditions-Logbuch

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